Enno antwortete ihr nicht. Denn er hatte gerade etwas ganz
anderes entdeckt, was seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch
nahm. »Schau mal!«, rief er beinahe euphorisch. »Da steht eine
Miniatur vom Pilsumer Leuchtturm.« Das elf Meter hohe Original,
in seinem unverkennbaren gelb-roten Ringelsockenanstrich, war
durch den Film ›Otto – Der Außerfriesische‹ im Jahr 1989
deutschlandweit berühmt geworden. Mit großen Schritten ging der
ehemalige Polizist auf die Nachbildung zu, winkelte die Hände wie
ein Erdmännchen vor seinem Oberkörper an und umkreiste die
Nachbildung mit hopsenden Schritten.
»Imitierst du gerade Otto Waalkes?«, fragte Hedda schmunzelnd,
auch wenn ihr die Darbietung ihres Freundes gleichzeitig ein wenig
peinlich war.
Der ehemalige Polizist antwortete mit einem übermütigen,
langgezogenen „Jaaaahaa“ auf die Frage, so wie es der bekannte
Komiker, der gleichzeitig auch einer der berühmtesten Ostfriesen
war, in seinen Filmen und Shows regelmäßig tat.


Anschließend versuchten sie, noch ein paar Erinnerungsfotos zu
schießen, auf denen der Leuchtturm möglichst in voller Größe zu
sehen war, man gleichzeitig aber auch erkennen konnte, wer dort
neben dem imposanten Gebäude posierte. Eine schwierige
Aufgabe, da der Turm immerhin stolze zwölf Meter in die Höhe
ragte.
Nachdem Hedda letztlich mit Hilfe einer netten Touristin sogar
ein gemeinsames Bild von sich und Enno auf der Speicherkarte
ihres Smartphones verewigt hatte, wandte sie sich erneut der
Nordsee zu und ließ sich den Wind ins Gesicht pusten.


Hedda stellte sich neben eines der Stahlgitter, die direkt neben
dem Leuchtturm montiert worden waren und an denen verliebte Paare ein Vorhängeschloss mit ihren Namen anbringen konnten.
»Schau mal!«, rief sie aufgeregt, nachdem sie bereits einige
Namenskombinationen gelesen hatte.
»Was ist denn?« Enno drehte sich zu ihr um. Er hatte die ganze
Zeit über aufs Meer hinaus gestarrt.
»Sieh dir mal die Namen an!« Vorsichtig hob Hedda ein
dunkelblaues Vorhängeschloss an, um ihrem Freund so zu zeigen, welches der vielen Schlösser sie meinte.
»Jutta und Otto«, las Enno laut vor. »Unsere Tarnnamen. Das ist
ja witzig.«

 


Als die beiden Ermittler mit Ennos Polo auf den Ortseingang zufuhren, erkannten sie sofort die wohl berühmtesten Mühlen Ostfrieslands – die Zwillingsmühlen von Greetsiel.

Direkt am Kanal und in unmittelbarer Nachbarschaft
gelegen, konnte man die beiden Galerieholländer auf den ersten
Blick nur an ihren verschiedenen Außenanstrichen unterscheiden.
Auch waren die beiden Bauwerke keinesfalls Zwillinge, wie es der
Name vermuten lassen könnte. Die rote Mühle wurde 1921, die
grüne bereits 1856 erbaut. Die Vorgänger beider Mühlen waren
zuvor entweder durch Stürme oder Brände zerstört worden.


Nachdem Hedda und Enno sich von Ailke Rosenboom
verabschiedet hatten, machten sie einen kleinen Spaziergang zum Hafen, kauften sich auf dem Weg ein Eis und setzten sich damit auf dieselbe Mauer, auf der sie schon einmal Platz genommen hatten.
Während sie erneut die wunderschönen Fischkutter und die alten Häuser bestaunten, ließen sie die Ereignisse, die sich in den letzten Stunden förmlich überschlagen hatten, noch einmal Revue passieren.


Sie setzten sich auf eine Steinmauer, die entlang des
Hafenbeckens verlief. Von hier aus hatte man einerseits einen
tollen Blick auf die größte Krabbenkutterflotte Ostfrieslands,
andererseits aber auch auf die malerischen kleinen Häuser mit den
glockenähnlichen Giebeln, die nach niederländischem Vorbild
bereits im achtzehnten Jahrhundert erbaut worden waren.